Das Land, das man von der Höhe Lützerath betrachten kann beim Blick nach Westen, war gesegnet. Der Boden ist vor Jahrtausenden entstanden, als Gletscher den Kontinent vereisten und Wind den Staub und den Kalk zu feinstem Sand zerrieben. Die Wolken, die hier über die Landschaft ziehen, tragen grau und schwer an Regen. Seit Jahrhunderten wässern sie den Bauern zuverlässig die Äcker, denn der Himmel ist der Erde hier besonders nahe.
Gott hatte bei der Erschaffung dieses Erdenwinkels besonders viel Sorgfalt für die Fruchtbarkeit der Erde aufgebracht. Die Menschen, die diese Scholle Heimat nennen, haben es ihm mit Inbrunst und Dankbarkeit zurückgezahlt, sind doch die Zeugnisse des guten Glaubens eingewoben in eine Landschaft, deren Antlitz stolz und gottesfürchtig jedem Wetter getrotzt hat. Stationen des Innehaltens und der stillen Zuwendung zu dem biblischen Schöpfer geben ein vielfältiges und lebendiges Zeugnis einer Zeit, in der die Menschen dem Ausgeliefertsein an die wilden Wirkkräfte des Schicksals nur ihren Gottesglauben entgegenstellen konnten.
Orte der Hoffnung wurden rarer im letzten Jahr der großen Linde. Doch die, die erhalten blieben, wuchsen über sich hinaus mit jedem Fuß, der seinen Weg zu ihnen fand, mit jeder Hand, die über die Zeichen des zuversichtlichen Widerstandes streifte. Die Kapelle war ein solcher Ort der Hoffnung, ein wenig hinabgesenkt in die Erde, umschlossen von dem immerkräftigen Grün der Eiben, zugänglich gemacht über Stufen, eingefasst von einem Gitter aus Stahl. Es ist der Ort, wo nicht nur die gelben Kreuze wieder zur Ruhe kommen nach den Prozessionen.
Die Kapelle liegt am Rand des Weilers, nun hinter zerrissenem Asphalt und bunten Fahrzeugtrümmern, hinter einbetoniertem Stahl und gestapelten Pflastersteinen, die noch auf den Beton zum Bau der Barrikade warten. Noch steht das Kreuz, angekettet am Stahl, leuchtet die Kerze leise flackernd in den Wintermorgen, erinnern die Fahnen an den Weg des Kreuzes vorbei an den Orten der Zerstörung bis hierher an den Abgrund.
Der Fluch, der das Unheil über dieses Land bringt, liegt unter der Kapelle, tief in der Erde. Fluch und Unheil sind oft berechnet und längst ausgezählt worden, und noch steht dieser Ort gegen die Versuchung, diese gesegnete Schöpfung in eine Hölle zu verwandeln.
Mene mene tekel u-parsin
מנא ,מנא, תקל, ופרסין
Gezählt, gewogen – und für zu leicht befunden.Wird die Eibenkapelle zerstört, dann hat Deutschland die 1,5°-Grad-Grenze gerissen!
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