Sternreigen

Einmal war ein kleines Mädchen,
Spielte mit dem Kinderlädchen
Einsam auf der dunklen Kammer,
Trug im Haar noch Mutters Klammer.

Schaute Abends doch so gerne
Hoch zum Himmel, wo die Sterne
Funkelnd in den Wolken lagen.
Durfte einen mit sich tragen

Über’m Herzen, durch die Gassen,
Eltern an den Händen fassen.
Spürte stark den Griff vom Vater.
Hand der Mutter fasste zarter.

Feuchte Erde dampft noch aus den Gräbern
Blutgeruch liegt über nackten Leibern
Schwarzer Rauch steigt wirbelnd aus Kaminen
Aschegrau die Sterne darin funkeln

 

Bald schon ließ das kleine Mädchen
Ihre Schule und ihr Städtchen
Hinter sich, um auf den Gleisen
Mit den Eltern zu verreisen.

Fand kein Bett, darin zu schlafen.
Alle Menschen, die sie trafen,
Trugen Sterne an den Kleidern
Und die Angst in ihren Leibern.

Eltern waren bald verloren
In den vollen Menschenloren.
Trauer konnte nicht mehr heilen,
Und es blieb kein Brot zu teilen.

Feuchte Erde dampft noch aus den Gräbern
Blutgeruch liegt über nackten Leibern
Schwarzer Rauch steigt wirbelnd aus Kaminen
Aschegrau die Sterne darin taumeln

 

Endlich huscht am Ziel das Mädchen
Unter’m Zug klein hinter’s Rädchen
In die Nacht, sich dort zu kauern
Winterkälte lässt es schauern.

So von aller Welt verlassen
Kriecht es zu den Lagergassen,
Hemd und Röcklein sind zerschlissen,
Und die Knie wund gerissen,

Blickt durch Tränen in das ferne
Dunkel, sucht dort ihre Sterne,
Lauscht dem trauten Silberschellen,
bis die Schäferhunde bellen.

Feuchte Erde dampft noch aus den Gräbern
Blutgeruch liegt über nackten Leibern
Schwarzer Rauch steigt wirbelnd aus Kaminen
Aschegraue Sterne darin fallen

 

Mirjam – hast von Schwarzer Milch getrunken
Hannah – liegst nun in der Luft begraben
Esther – Lichter an den Himmel kamen
Eva – den Gestirnen gabst Du Namen
Ada – fein sie tanzten bis sie fielen
Dina – in dem Hemd aus weißem Linnen
Judith – sammelst Du die Schwesternsterne

 

nach Yael Bartana, Tashlikh (Cast Off), 2017, gesehen im LWL Museum Münster, Sommer 2018