Intermission – zum Ersten

Wir haben den Rand der Erde und das Ende des Universums verloren. Wir haben uns das Ende der Geschichte ersponnen und atmen nun angewidert den Aasgeruch dieser verstorbenen Chimäre ein. Wir haben unsere Lieder verkauft und können sie nun stromliniengeformt auf die Festplatte laden. Wir haben wie übermütige Kinder alle Türen aufgestoßen, doch wären manche besser geschlossen geblieben.

hoellentor_400
Wir haben unsere Geschichten verscherbelt, die uns nun die andere Seite als billige Lügenmärchen verkauft: Geschichten vom grünen Land hinter dem fernen Hügel, wo aber schon eine Trabantenstadt aus der Erde gestampft wurde; Geschichten von chromblitzenden Maschinenparks, die aber nur die Erde aufbrechen, bis das Petroleum wie Eitersekret aus den schwärenden Wunden quillt; Geschichten von Eroberung und Entdeckung, die uns aber nur in den nächsten Kreis der Hölle geführt haben.

Alle Zenite sind längst überschritten, und der Abstieg, den das globale Dorf aus der Kronzeugen-perspektive in Echtzeit verfolgt, scheint so unaufhaltsam wie er angekündigt war. Und während das Komitee der Unsichtbaren in den Katakomben von Metropolis weiter an den Sprengstoffgürteln bastelt, sterben unsere Träume zwischen Wahnsuchtmolekülen und Bilderweltsedativum.

Wir nagen letzte Fleischreste von den Knochen gequälter Kreaturen und geben die Qual weiter an die erbenden Generationen, während wie mit Lasermessern die Taue kappen, die uns noch mit einer letzten Erinnerung von Heimat verbanden.

Nicht fließt, alles sinkt! Und kein Ballast mehr, der aus den Mongolfieren wohlstandssatter Weltvernichter herausgeworfen werden könnte.

Ist damit die Geschichte hinter der Geschichte schon beendet? Sind alle Apfelbäume die einst in naivem Kinderglauben gepflanzt worden sind, bereits den bordellroten Vergnügungsprks zum Fraß vorgeworfen worden? Sind alle weißen Tauben, die einst den Himmel erobern wollten, an die Massen in Form von Chicken Wings verfüttert worden?

Es ist wahr: Unsere Reserven sind aufgezehrt. Der Rückweg zum Ausgangspunkt erscheint steiler und steiniger als der Weg voran zu einem Ziel, an das wir uns nur noch vage erinnern. Und während diese Erinnerung immer mehr verblasst, irren wir durch die Schwefeldämpfe tosender Geysirfelder.

Die Angst, welche uns in der Verlorenheit der Gegenwartshölle befällt, macht uns hilflos, da wir uns nicht mehr spüren. Wir schlagen lieber die Hände vor Mund, Augen und Ohren, anstatt sie einander zu reichen. Wir erzählen uns nichts mehr, sondern lassen uns berieseln von den Sprachergüssen aus den Floskelwerkstätten der Gnome in grauen Hosenanzügen und blütenweiß gestärkten Anzughemden.

Dabei könnten wir uns Geschichten erzählen, Geschichten mit bleckenden Zähnen im Gesicht, mit fiebrigen Augen über wilden Bärten, mit dürstenden Lippen zwischen entflammten Wangen, Geschichten, die triefen voller Pathos, vollgesogen mit Sentimentalitäten, die den Boden unter den Füßen verlieren und nach den Sternen greifen, Geschichten, die den Zorn befeuern, die Herzen in grüne Moosteppiche betten und die Seelen in Mondlichtsilberseen tauchen, Geschichten, die eine neue Möglichkeit transportieren und die mechanistische Alternativlosigkeit der Weltuntergangshelfer in den Krematorien der Zeitgeschichte verfeuern.

Wir müssen diese Geschichten erzählen, denn wir sind Menschen, zum aufrechten Gang geboren. Wir müssen unseren Blick schärfen, um in die Welt hineinzuschauen. Wir müssen unsere Ohren öffnen, um in die Welt hineinzuhorchen. Wir müssen unsere Münder aufreißen, um unsere Träume auf den Marktplätzen hinauszuschreien.

Wir dürfen keine Angst haben, klein zu sein, verloren zu wirken, uns lächerlich zu machen. Wir müssen auch die Geschichten voller Lächerlichkeit erzählen, denn Lächerlichkeit ist der Rostfraß an den metallenen Zwingburgen kreuzfahrender Welteroberungsritter.