Schattenwelt und Trümmerland

Bevor die Farben und die Sonne
Aus dem Dunstgrab sich erheben
Erreiche ich mein neues Land
Das Ziel von ungezählten
Ungewollten Wegen.
Wo das Fremde plötzlich
Ungewohnt an meinen Gleisen steht
Mit unbekannten Gesten
Und zerwürfelten Silben
Sich in eine falsche Richtung dreht
Und mein Leben nicht versteht,
Gehen Menschen längst verlassne Pfade
Zwischen meinen Dörfern stehen
schräg an graden Ecken wohnen
In meinen Städten irren
durch die umgekehrt Reihung
Der Bahnhofsinformationen.

„Wo sind die Menschen, wo die Städte meiner
Jugend, in deren Zimmern Ich einst Heimat fand?
Erinnerungen wandeln zwischen Trümmern,
Werfen Schatten auf Ruinenwand.“

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Südlich dunkle Kinderaugen
An den Schultern junger Kopftuchmütter
Turnschuhbunte Männerfüße scharren
Neben Raucherzonen gebeugt wie Greise
Ducken Paare sich in die Ecken
Der verlassenen Wartebereiche.
Und selbst in dunklen Gassen
Werden sie verfolgt vom matten
Gespinst der grauen Schatten
Terrorgeschundener Seelen,
Umgibt sie ein Schleier,
Der aus meiner neonglatten
Erinnerung längst verschwunden war,
Geformt aus dem Trümmerstaub Mossuls
Der Wüste bei Sulaimanija,
Den Folterkellerschreien Damaskus‘,
Den Massengrabgestank Falludschas‘,
Den Chlorgasschwaden Aleppos,
Dem Dunst an der Ägäisküste
Dem Nebel in Balkanwäldern
Den Wolken über Alpentälern.

„Wo sind die Menschen, wo die Städte meiner
Jugend, in deren Zimmern Ich einst Heimat fand?
Erinnerungen wandeln zwischen Trümmern,
Werfen Schatten auf Ruinenwand.“

Meine Augen brennen an dem
Hohlen Blick der Kriegsdämonen
Deren Gesichter tragen
Das Leid der Millionen
Geflohen in die Killing Fields
Der blutgetränkten Todeszonen
Wo in den Trümmern vieler Leben
Nun die Bombentrichter wohnen.
In meinen Ohren weicht das Dröhnen
Dem toten Schattenflüstern,
Das auf fernen Lippen gestern
Noch eine volle Stimme war von
Arabiens Töchtern, Söhnen:
„Wie weit können wir
Nur unsre Kinder tragen?
Sollen wir die Überfahrt
Mit diesem Boot jetzt wagen?
Wie lang kann ich den Gestank
Im Schiffsrumpf noch ertragen?
Meine Kleidung riss die Männerhand,
Das Segeltuch der Wind in Fetzen.
Im Schiffrumpf Öl, Urin und Salz
meine Mädchenhaut verätzen.
Wie lange dauert ein Ertrinken?
Fühl ich Deine Schmerzen
Wenn wir in die Kälte sinken?
Keine Luft im Schlepperwagen
Schläge für die falschen Fragen.
Die Atemluft trägt unsren Tot.
In der Ecke modert Kot.

Wo sind die Menschen, wo die Städte meiner
Jugend, in deren Zimmern Ich einst Heimat fand?
Erinnerungen wandeln zwischen Trümmern,
Werfen Schatten auf Ruinenwand.“

All die Seelen, die auf ein
Überleben in der Ferne brannten
Tapfer auf den unbekannten
Wegen in die Zukunft rannten
Und an den Rändern, Kannten
Unserer Käseglockenwohlfühlwelten
Das Todesschicksal der Verbannten
Fanden – und zerschellten.
An den Straßen, Küsten
Wir geübt die Leichen bergen
Schicken die verbrauchten Leben
Zurück in normgeformten Särgen
Kein Blutgeruch bleibt kleben
An unsern seifenweißen Händen.
Wir schützen unsre Einkaufszonen
Mit Draht, Beton und Wänden.
Überwachungsmasten, Drohnen.
Und in fernen Tempeln lassen wir
Weiter Krieg und Terror thronen.

„Wo sind die Menschen, wo die Städte meiner
Jugend, in deren Zimmern Ich einst Heimat fand?
Erinnerungen wandeln zwischen Trümmern,
Werfen Schatten auf Ruinenwand.“

Doch die toten Schatten mit den
Schreckensfurchen in den Leichenmienen
Werden aus unserm Leben
Nicht mehr weichen.
Der Gestank von Leid und Tot wird
In den Rosenstöcken unsrer
Gärten hängen bleiben.
Die grauen Fluchtbegleiter wird
Kein Wind je aus den Städten treiben,
Den trostlosen Ruinen
Westlicher Barmherzigkeiten,
Wo wilden Götzen wir mit
Blinden Herzen dienen.
Das unbeweinte Sterben,
Der Toten letzte Worte, mahnen
Uns so schmerzhaft, dass wir Ahnen
Unsre Schuld teuer nun vererben.

„Konntest Du die Not, das Leiden
Wirklich nicht erahnen?
Wie lassen sich Geschäfte treiben
Unterm Leichentuch von Warlord-Fahnen?
War das bunte Fernsehgrauen
Nur für beiläufiges Herüberschauen?
Wie zerfroren war die Seele
Dir beim Bildbeschauen?
Als wir dir durch die Finger rannen,
Gleich unfassbarem Grauen?
Werden wir von Euch gerichtet
weil unser Flehgebet sich
nicht an Christus richtet?

Wo sind die Menschen, wo die Städte meiner
Jugend, in deren Zimmern Ich einst Heimat fand?
Erinnerungen wandeln zwischen Trümmern,
Werfen Schatten auf Ruinenwand.“