Die Welt, wie wir sie kannten

Der Fluss liegt ruhig wie Öl in stummer Nacht,
Die Straßen schweigen grausam in der Stille.
Es lenkt die Sterne fern ein unbekannter Wille
Und fährt durch unsre Zeit mit großer Macht.

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Längst weht kein buntes Banner mehr am Mast,
Vertrieben ist aus Gärten bunte Pracht der Blüten.
Der Himmel ließ finale Trockenwinde wüten
Die Erde trug zu schwer an ihrer Last.

Des Knochensammlers Todesmelodie
Ließ noch rinnen heißen Strom von Tränen,
Ahnten wir doch von den ungeheuren Plänen
An den Grenzen unsrer Fantasie.

Unerbittlich war des Schicksals Lauf
Allzu rasch verbrauchten wir gezählte Stunden.
Die Zukunft ward uns schon entwunden,
Da häuften wir noch Siege auf.

Wir hielten glückliche Momente
So schutzlos in zu kleinen Händen,
Als sich unsere Luftballonherzen
Rot im lachenden Geäst der Kastanien begegneten.
Unsere Träume hetzten durch Feuerwerksnächte,
Bis rasende Lungen unter der Morgensonne zu
Grauem Staub verbrannten.
Unsere Seelen glitzerten wie reinste Diamanten
Doch wir verkannten
Der trügerischen Pretiosen falschen Schimmer.

Wir waren ruhelos bis zur Erschöpfung,
Verwegen bis zum Suizid,
Ruchlos bis zur Selbstvernichtung,
Ehe uns die Nachricht vom nahen Ende
In eine junge Stirn geritzt wurde.

Unsere Unschuld zerschmolz
Mit den weißen Gletschermassen,
Deren Eiswasserströme talwärts tosten,
Um zarte Pflanzen armen Lebens
In dunkle Ozeane fortzureißen.

Unsere Freiheit verbrannte
In den lodernden Gasfackeln
Über Taigagrund und Saharasand,
Als sich der alte Rost
In die sterbende Weltmaschine fraß.

Unsere Sehnsucht erstarrte
Unter kalten Kristallblicken,
Die des Eises blanke Klinge
In die Tiefen unsrer Seelen trieben.

Jetzt,
Wo der Leichenstaub sich schon wie Erde gibt
Und der Geruch des Todes dem Duft der Lilien weicht,
Schlendere ich ein letztes Mal
Durch die Straßen, in den Gassen,
Vorbei an gelben Sandsteinkirchen
Und blinden Schaufensterfassaden.

Die Stühle im Café
Sind längst schon umgestürzt,
Wo lächelnd Du der Sonne zugezwinkert.

Stuhl_Cafe_400

Braunes Gras kriecht wuchernd
Aus zerbrochenem Pflastergold,
Darüber einst Dein kurzer Rock
Verlockend in der Frühlingsbrise wehte.

Zersprengt ist auch der Marmor,
Der das Glühen Deiner braunen Haut
Unter meinen kühnen Küssen kühlte.

Zerrissen sind die transparenten Schleier,
Die lockend Dich einst eingehüllt,
Die Lebensgier befeuernd.

Zersplissen sind die weißen Laken,
Die unsere erhitzten Körper tränkten,
Als besinnungslose Lippen sich
Am schweren Nektartrank berauschten.

Vorbei!
Verweht!
Verspielt!
Versenkt!
Entgrenzt!

Die Welt,
Wie wir sie kannten
Und in wilden Feuern zu Ruinen brannten.
Stirbt mit meinen letzten Nachtgedanken,
Wo an rußgeschwärzten Mauern
Die Efeudschungel ranken
Und Spinnenvölker ungestört
Ihr ewig Werk verrichten,
Zerbrochne Kreuze zierend.
Die Untergangspropheten winken triumphierend
Noch aus ihren anonymen Gräbern.
Die letzte Erinnerung – ein Kinderlachen –
Zerreißt das Herz zu rohem Fleisch.